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Autor
Madjidi, Maryam

Du springst, ich falle

Untertitel
Roman. Aus dem Französischen von Julia Schoch
Beschreibung

Als Maryam Madjidi sechs Jahre alt ist, flieht ihre Mutter mit ihr aus dem Iran nach Frankreich, wo der Vater bereits lebt. Für die Eltern, die im kommunistischen Widerstand gegen das Khomeini-Regime waren, war das Leben dort zu gefährlich geworden. Was für sie die Hoffnung auf Sicherheit bedeutet, ist für das Mädchen die völlige Entwurzelung. In der ärmlichen Behausung – 15 Quadratmeter im 6. Stock eines Pariser Mietshauses –, in der fremden Sprache, ohne Freunde, ohne die geliebte Großmutter fühlt sich sie sich allein und fremd. Und fremd wird sie sich für sehr lange Jahre erleben. Ob in Frankreich, in ihren Beziehungen, aber auch im Iran, wohin sie nach siebzehn Jahren zurückkehrt – das Exil ist in ihr und bleibt. Maryam Madjidis literarisches Debüt, für das sie 2017 den “Prix Goncourt du Premier Roman” erhielt, ist eine Mischung aus Realismus, Poesie und Fantasie, geschrieben in einer lebendigen, nuancenreichen Sprache, die dem Thema Flucht, Migration, Exil völlig neue Facetten abgewinnt. Du springst, ich falle liest sich packend und zart zugleich und ist zur Lektüre wärmstens zu empfehlen.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Blumenbar Verlag, 2018
Format
Gebunden
Seiten
224 Seiten
ISBN/EAN
978-3-351-05050-4
Preis
18,00 EUR

Zur Autorin/Zum Autor:

Maryam Madjidi wurde 1980 in Teheran geboren, verließ mit sechs Jahren den Iran, um mit ihren Eltern in Frankreich zu leben. Heute unterrichtet sie in Paris Flüchtlinge in Französisch und schreibt. Du springst, ich falle ist ihr erster Roman, für den sie u. a. den Prix Goncourt du premier roman 2017 erhielt und mit dem sie ihr Publikum im Sturm eroberte.

Zum Buch:

Die Geschichte beginnt – wie der Titel sagt – mit einem Sprung. In die Universität von Teheran, in der sich Studenten im Widerstand gegen das zunehmend repressive Chomeini-Regime verschanzt haben, sind Milizen eingedrungen und veranstalten ein unglaubliches Blutbad. Maryam Madjidis Mutter, im sechsten Monat schwanger, versucht, vor ihnen zu fliehen, und am Ende bleibt ihr nur der Sprung aus einem Fenster im zweiten Stock. Dieser Sturz ist für die Erzählerin das Sinnbild ihres Lebens. Die Eltern bleiben ihren kommunistischen Überzeugungen treu. Um geheime Schriften zu befördern, werden die Windeln des Säuglings benutzt, der dafür auch schon mal an andere ausgeliehen wird. Später muss das Kind, von Verwandten und besonders der geliebten Großmutter verwöhnt, seine vielen Spielsachen an die armen Kinder des Viertels verschenken, um zu lernen, sich nicht an Eigentum zu binden. Als die Verhältnisse für die Eltern immer bedrohlicher werden, flieht die Mutter mit ihr aus dem Iran nach Frankreich, wo der Vater bereits lebt.

Was für die Eltern die Hoffnung auf Sicherheit bedeutet, ist für das das Mädchen die völlige Entwurzelung. In der ärmlichen Behausung – 15 Quadratmeter im 6. Stock eines Pariser Mietshauses –, in der neuen Sprache, ohne Freunde, ohne die geliebte Großmutter fühlt sie sich allein und verloren. Sie verweigert sich dem für ihren Geschmack ekligen und faden französischen Essen und der neuen Sprache, bis ihr unbändiger Lebenswille siegt und die äußeren Schwierigkeiten schwinden. Zum Sinnbild für die von der Gesellschaft geforderte Anpassung an die neue Umgebung wird der „Kampf“ zwischen der alten und der neuen Sprache, den die neue gewinnt. Damit drehen sich die Verhältnisse. Das Kind, nun eifrig darum bemüht, so zu sein wie alle anderen, schämt sich der Eltern, denen der Aufstieg in die französische Gesellschaft weder materiell noch ideell gelingt. Sie wird eine gute Schülerin, gewinnt Freunde, beginnt ein Studium. Aber die innere Fremdheit bleibt und begleitet sie für lange Jahre, auch in ihren Beziehungen zu Männern, denen sie virtuos die Rolle der geheimnisvollen Orientalin vorspielt und die sie mit Zitaten der persischen Lyrik verführt. Das Exil ist in ihr und bleibt, sie spürt, wie sie sich selbst fremd wird. Und wie zuvor schon in für sie existentiell wichtigen Situationen imaginiert sie ihre Großmutter, die ihr rät, ihre Masken fallen zu lassen und sich der Wahrheit zu stellen.

So einfach die Geschichte erscheint, so kunstvoll sind die Stilmittel: Was das Buch, für das Maryam Madjidi 2017 den “Prix Goncourt” für den besten Debütroman erhalten hat, zu einer ganz außergewöhnlichen Lektüre macht, ist seine Form und die Sprache. Der Text ist eine Mischung aus Realismus, Poesie und Fantasie, geschrieben in einer lebendigen, nuancenreichen, kunstvoll komponierten Sprache, die dem Thema Flucht, Migration, Exil völlig neue Facetten abgewinnt. Die Autorin bedient sich unterschiedlichster Stilmittel, um Stimmungen und Personen nicht nur zu beschreiben, sondern ihnen einen eigenen Ausdruck zu verleihen. Das Buch ist eine Studie zur Identitätsfindung, die an die Stelle von Land, Ort und Sprache die Poesie setzt, die zur inneren Heimat wird. Das Beste an diesem Roman ist jedoch, dass er sich nicht im Artifiziellen verliert. Du springst, ich falle liest sich packend, humorvoll und zart zugleich und ist zur Lektüre wärmstens zu empfehlen.

Ruth Roebke, Bochum