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Am Grund des Universums

Autor
Scheuer, Norbert

Am Grund des Universums

Untertitel
Roman
Beschreibung

Kall in der Eifel – ein heruntergekommenes, trostloses Kaff, das zwar einen Bahnhof sein eigen nennt, auch die obligatorische Fußgängerzone, aber ansonsten nur noch über viele einstmals florierende, aber mittlerweile geschlossene Läden, Cafés und Restaurants verfügt. Treffen kann man sich hier nur noch in Evros‘ Kneipe oder bei Otti in der Cafeteria des Supermarkts.

Hierher kommt eine Gruppe alter Männer, die „Grauköpfe“, denen der Alkohol nicht mehr bekommt und die deshalb hier ihren Stammtisch aufgeschlagen haben. Ihnen entgeht nichts – sie kennen jeden, sie wissen Bescheid über Familiengeschichten und Verwandtschaftsverhältnisse, sind genau darüber informiert, wer mit wem und warum was zu tun hat. Ein nicht besonders aufregendes Provinzdrama also, könnte man denken. Aber wer Norbert Scheuer schon einmal gelesen hat, weiß, dass Kall in der Eifel keineswegs ein trostloses Nest ist, sondern, nun ja, ein Universum, wie der Titel sagt.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Verlag C.H. Beck, 2017
Seiten
240
Format
Gebunden
ISBN/EAN
978-3-406-71179-4
Preis
19,95 EUR
Status
lieferbar

Zur Autorin / Zum Autor:

Norbert Scheuer, geboren 1951, arbeitet als Systemprogrammierer. Er erhielt zahlreiche Literaturpreise und veröffentlichte zuletzt die Romane „Peehs Liebe“ (2012) und „Die Sprache der Vögel“ (2015), der für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert war. Er lebt in der Eifel.

Zum Buch:

Kall in der Eifel – ein heruntergekommenes, trostloses Kaff, das zwar einen Bahnhof sein eigen nennt, auch die obligatorische Fußgängerzone, aber ansonsten nur noch über viele einstmals florierende, aber mittlerweile geschlossene Läden, Cafés und Restaurants verfügt. Treffen kann man sich hier nur noch in Evros‘ Kneipe oder bei Otti in der Cafeteria des Supermarkts. Hierher kommen Arbeiter, Vertreter, Frauen, die sich nach dem Einkaufen noch einen Kaffee gönnen, Jugendliche, die nach der Schule auf den Bus warten, und eine Gruppe alter Männer, die „Grauköpfe“, denen der Alkohol nicht mehr bekommt und die deshalb hier ihren Stammtisch aufgeschlagen haben. Sie pflegen ihre alten Autos, weil die schmalen Renten keine neuen mehr erlauben, erzählen sich die alten Geschichten und achten genau darauf, ob sich vielleicht irgendwo neue anbahnen. Ihnen entgeht nichts – sie kennen jeden, sie wissen Bescheid über Familiengeschichten und Verwandtschaftsverhältnisse, sind genau darüber informiert, wer mit wem und warum was zu tun hat. Der große Aufreger ist die geplante Erweiterung des Stausees, verbunden mit dem Bau eines Ferienparks, der das Städtchen wiederbeleben und zum Touristenmagnet machen soll. Alle setzen darauf, und jeder investiert in das Projekt, was immer er aufbringen kann. Das tun auch die Grauköpfe, aber die sind vor allem darauf neugierig, was wohl alles zum Vorschein kommt, wenn das Wasser des Stausees vor der Erweiterung abgelassen wird. Schließlich ranken sich unendlich viele Geschichten um diesen See, die von geheimen Schätzen, Höhlengängen und verschwundenen Menschen handeln. Doch die Arbeiten ziehen sich hin, es gibt immer wieder finanzielle Probleme, allem Einsatz der Gemeinde zum Trotz, und man ahnt bald, dass die Sache wohl nicht gut ausgehen wird …

Ein nicht besonders aufregendes Provinzdrama also, könnte man denken. Aber wer Norbert Scheuer schon einmal gelesen hat, weiß, dass Kall in der Eifel keineswegs ein trostloses Nest ist, sondern, nun ja, ein Universum, wie der Titel sagt. Eine Welt voller skurriler, wahnwitziger, komischer, tragischer, anrührender und verstörender Geschichten, voller Figuren, die man nicht mehr vergisst, weil sie so schräg sind, so verrückt, weil sie ihren Fantasien und Spleens mit so großartiger Ernsthaftigkeit nachgehen, ob sie nun Raumschiffe bauen, das Daodejing von Laozi übersetzen oder davon träumen, mit dem Faltboot über die Weltmeere zu paddeln. Scheuer hat hier ein wahres Panoptikum von Figuren versammelt, stets kommentiert und erläutert durch den Chor der Grauköpfe, der den Leser über die Dammböschung und die Dammkrone hinunter zur Dammsohle führt, wo zwar weder Schätze noch Leichen, wohl aber die vielen Reste vergangener Zeiten und vergangenen Lebens liegen, sorgfältig aufgelistet, jeder Gegenstand eine neue Geschichte, eine neue Welt. Scheuer beweist mit seiner so knappen wie leuchtenden Sprache, dass der Mikrokosmos nicht weniger spannend ist als der Makrokosmus und das Universum durchaus in einem Kaff in der Eifel – oder vor der eigenen Haustür – liegen kann. Man muss nur genau genug hinsehen.

Irmgard Hölscher, Frankfurt am Main