Zum Buch:
Die Dunkelkammer des Damokles erzählt die Geschichte des holländischen Tabakhändlers Henri Osewoudt, Sohn einer Mutter, die im Wahn ihren Mann erstochen hat, geschlagen mit einer hormonellen Störung, die Stimmbruch und Bartwuchs verhinderte, verführt von seiner älteren Cousine und späteren Frau, zu dem im Krieg zufällig der Offizier Dorbeck kommt, um einen Film entwickeln zu lassen. Dorbeck sieht ihm, von Haarfarbe und Bartwuchs abgesehen, äußerlich zum Verwechseln ähnlich, ist aber ansonsten sein genaues Gegenteil: willensstark, erfolgreich, zupackend. Dorbeck rekrutiert ihn für den holländischen Widerstand, und Osewoudt verlässt seine Frau, seinen Laden und sein Dorf, geht in den Untergrund, wird von den Deutschen verhaftet, wieder freigelassen, verliebt sich in die untergetauchte Jüdin Marianne und ermordet ganz selbstverständlich alle, die ihm von Dorbeck als Verräter genannt werden, auch in der Erwartung, nach dem Krieg als Widerstandskämpfer anerkannt und entsprechend geehrt zu werden. Stattdessen gerät Osewoudt nach dem Krieg in einen Albtraum: er wird verhaftet, weil er als Spitzel für die Deutschen gearbeitet haben soll. Alle Indizien sprechen gegen ihn, alle Versuche, sich zu verteidigen, scheitern, denn die Bekannten aus dem Widerstand sind tot, Marianne ist angeblich in einem Kibbuz in Palästina, und Dorbeck, der einzige, der ihn rehabilitieren könnte, bleibt unauffindbar – und wird von den Ermittlern schließlich für Osewoudts Fantasie gehalten.
Als Die Dunkelkammer des Damokles 1958 in Holland erschien, löste das Buch einen Skandal aus. Hermans nihilistisch geprägte Perspektive auf den Menschen (nicht nur) im Krieg zertrümmerte den Mythos vom holländischen Widerstand und vom holländischen Widerstandkämpfer als Helden so schonungslos wie gründlich – und das in einem Buch, das auch die schärfsten Kritiker nur als Meisterwerk bezeichnen konnten. Und meisterlich ist es, wie Hermans hier ein raffiniertes, immer enger werdendes Netz auslegt, in dem sich sein Protagonist unweigerlich verfangen muss, wie er die Doppelbödigkeit des Widerstands zeigt, der einerseits auch für den Autor unzweifelhaft notwendig und richtig war, andererseits aber dem unbedeutenden Kleinbürger die Chance gab, in der Maske des Helden – und selbstverständlich nur auf Befehl – kaltblütig und ohne die leiseste Regung von Gewissen oder Mitleid auf brutalste Weise zu töten. Meisterhaft sein Spiel mit dem Doppelgängermotiv, sein Umgang mit der Erzählzeit, die Kunstfertigkeit, mit der er dem Leser jede Möglichkeit nimmt, zu entscheiden, wer Dorbeck war und ob es ihn überhaupt gegeben hat. Die Dunkelkammer des Damokles ist ein so beeindruckendes wie verstörendes, so großartiges wie beklemmendes Buch, das seinen Lesern einiges zumutet. Keine leichte Lektüre, aber eine unvergessliche.
Irmgard Hölscher, Frankfurt am Main