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Autor
Grossman, David

Kommt ein Pferd in die Bar

Untertitel
Roman. Aus dem Hebräischen von Anne Birkenhauer
Beschreibung

Ein Abend in einer heruntergekommenen Kneipe in Netanja, Isreal. Die wenigen Besucher erwarten den für diesen Abend angekündigten Stand-Up-Comedian Dovele. Für den wird es sein letzter Auftritt sein. Im Publikum sitzt ein Freund aus Kindertagen. Aber mit den Jugendlichen aus ihrer Erinnerung haben beide nichts mehr gemein. David Grossmans Roman umfasst die Dauer des Auftrittes und lässt inmitten von Kindheitserinnerungen und Eindrücken aus dem heutigen Israel menschliche Abgründe aufscheinen.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Hanser Verlag, 2016
Format
Gebunden
Seiten
256 Seiten
ISBN/EAN
978-3-446-25050-5
Preis
19,90 EUR

Zur Autorin/Zum Autor:

David Grossman wurde 1954 in Jerusalem geboren und gehört zu den bedeutendsten Schriftstellern der israelischen Gegenwartsliteratur. 2008 erhielt er den Geschwister-Scholl-Preis, 2010 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Bei Hanser erschienen zuletzt Diesen Krieg kann keiner gewinnen (2003), Das Gedächtnis der Haut (2004), Die Kraft zur Korrektur (2008), Eine Frau flieht vor einer Nachricht (Roman, 2009), Die Umarmung (2012), Aus der Zeit fallen (2013)

Zum Buch:

Der Anruf kam für den pensionierten Richter, aus dessen Blickwinkel Grossmann den Abend beschreibt, völlig überraschend. Als er ans Telefon geht, weiß er zunächst gar nicht, mit wem er spricht. Nur mühsam kann er den anrufenden Dovele mit dem Jugendfreund aus seiner Erinnerung zusammenbringen. Dovele bittet ihn, an seiner Vorstellung als Stand-Up-Comedian teilzunehmen. Der Abend wird zu einer Reise in ihrer beider Vergangenheit. Für beide ist es wie ein Kontakt zu einem anderen, längst verlorenen Leben. Zu den eigenen inneren Sperren und Blockaden kommen die Unterbrechungen durch das Publikum, das lautstark, nahezu brutal die ihm zustehende Unterhaltung fordert. So fällt das Erzählen immer wieder von gehetzter Expressivität in Momente inniger Selbstvergessenheit. Dovele betreibt einen schonungslosen Ausverkauf seiner selbst, der ihn physisch an seine Grenzen bringt. Den ganzen Abend führt er einen aussichtslosen Kampf um die Gunst seiner Zuhörer und um seine eigene Geschichte. Immer mit dem Ziel vor Augen, sich Gehör zu verschaffen, zu Ende zu erzählen. Es ist die Geschichte der ersten Beerdigung, an der er teilgenommen hat, an dem Tag, an dem er und der Erzähler sich das letzte Mal gesehen haben. Es war zugleich der letzte Tag seiner Kindheit.

Grossmann schafft es in kammerspielartiger Reduktion, den Redeschwall des Comedian und die Gedanken des Richters so mitreißend zu gestalten, dass man ihn lesend kaum unterbrechen kann. Dovele ist als Figur unglaublich überdreht und grotesk, und doch meint man gerade in seiner Atemlosigkeit und verzweifelten Überdrehtheit, Menschlichkeit zu erkennen. Es ist nicht nur die Unterhaltungswut der Zuschauer, die ihn über die Bühne jagt. Es ist die verzweifelte Suche eines Jungen, der mit einem Schlag erwachsen werden musste, dessen Kindheit von Gewalt und Feindseligkeit geprägt war, nach so etwas wie einem Abschluss der eigenen Geschichte, nach der eigenen, ungebrochenen Identität. „Das, was von einem Menschen ausgeht, ohne dass er Kontrolle darüber hat.“

Dass David Grossmann ein geübter und talentierter Erzähler ist, hat er bereits mehrfach unter Beweis gestellt. Mit diesem Buch aber legt etwas völlig Neues vor, einen sprachlich von einer bemerkenswerten Präzision gekennzeichneten Roman, die dem Text zugleich ein unheimlich gehetztes Tempo verschafft und seinem Inhalt große Räume zu eröffnen weiß.

Theresa Mayer, autorenbuchhandlung marx & co, Frankfurt