Detail

Drucken

Afrikas Kampf um seine Kunst

Autor
Savoy, Bénédicte

Afrikas Kampf um seine Kunst

Untertitel
Geschichte einer postkolonialen Niederlage
Beschreibung

Bénédicte Savoy breitet vor dem Leser ein verheerendes Panorama postkolonialer Kulturpolitik in Europa und insbesondere in Deutschland aus. Es ist die Geschichte einer Kultur-Odyssee in den 70er und 80er Jahren des letzten Jahrhunderts sowie unserer aktuellen Debatte und ist weit davon entfernt, zu einem Ende zu gelangen. Die „Décolonisation“ der meisten afrikanischen Staaten nach 1960 bedeutet gleichzeitig auch den Anspruch auf Gleichbehandlung auf kulturellem Gebiet, insbesondere in bezug auf die afrikanischen Kunstgegenstände, die die Kolonialstaaten in den Eroberungskriegen der vorhergehenden Jahrhunderte mit Gewalt an sich gebracht, das heißt: geraubt, haben.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
C.H.Beck Verlag, 2021
Seiten
256
Format
Gebunden
ISBN/EAN
978-3-406-76696-1
Preis
24,00 EUR
Status
lieferbar

Zur Autorin / Zum Autor:

Bénédicte Savoy ist Professorin für Kunstgeschichte an der TU Berlin und am Collège de France in Paris. 2016 erhielt sie den Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Sie hat vielfältig zu Kunstraub und Beutekunst geforscht und ist eine der prominentesten Stimmen in der Debatte um die Rückgabe geraubter Kulturgüter in westlichen Sammlungen.

Zum Buch:

Es ist kein schönes Unterfangen, Kröten in den Sumpf zu tragen. Lieber hätte ich es mit den Athenern gehalten. Bénédicte Savoy breitet vor dem Leser ein verheerendes Panorama postkolonialer Kulturpolitik in Europa und insbesondere in Deutschland aus. Es ist die Geschichte einer Kultur-Odyssee in den 70er und 80er Jahren des letzten Jahrhunderts sowie unserer aktuellen Debatte und ist weit davon entfernt, zu einem Ende zu gelangen. Die „Décolonisation“ der meisten afrikanischen Staaten nach 1960 bedeutet gleichzeitig auch den Anspruch auf Gleichbehandlung auf kulturellem Gebiet, insbesondere in bezug auf die afrikanischen Kunstgegenstände, die die Kolonialstaaten in den Eroberungskriegen der vorhergehenden Jahrhunderte mit Gewalt an sich gebracht, das heißt: geraubt, haben.

Der moralische Sumpf der kulturellen deutschen (und europäischen) „Hochintelligenz“ der 70er und 80er Jahre des letzten Jahrhunderts verbindet sich mit Namen wie Professor Kußmaul vom Stuttgarter Lindenmuseum sowie mit den Herren Wormit (Stiftung Preußischer Kulturbesitz) und Waetzoldt (Staatliche Museen Berlin). Sie haben (wie viele andere Museumsdirektoren) mit allen Tricks und Unwahrheiten gearbeitet, um die Ansprüche der kolonisierten Völker auf ihre Artefakte zu hintertreiben. Die von Savoy zitierten, oft rassistischen Argumente der Restitutionsgegner treiben dem Leser die Schamröte ins Gesicht. Als ehrlicher Leser muss man sich damit auseinandersetzen, auch wenn es schmerzhaft ist

Offensichtlich haben Europäische Museumsleute nicht erkannt oder wollten nicht erkennen, dass diese Artefakte den Kern der Authentizität dieser Völker repräsentieren, von ihnen selbst als die Seele ihrer Lebensweise bezeichnet werden. Dazu machte ein britischer Abgeordneter (Lord Gisborough) den zynischen Vorschlag: „Meine Herren, wäre es nicht eine Lösung, die Beute zu behalten und die darin enthaltenen Seelen zurückzugeben?“ (S. 63). Wenn der Leser die 200 Seiten, meist mit Zorn (so ging es mir wenigstens) ob der Unverfrorenheit der restitutionsfeindlichen Argumente gelesen hat, würde er gerne einen versöhnlicheren Schluss mitnehmen. Leider stehen die Zeichen, abgesehen von einigen Rufern in der Wüste, z.B.Herbert Ganslmayr oder der Generaldirektor der UNESCO, Mahtar M‘Bow, auf Stillstand und auf dem Widerwillen, die Schandtaten der Kolonialära und ihrer Kunstraubzüge anzuerkennen und das Recht der Beraubten auf Rückgabe der geraubten Kunstschätze zu empfehlen.

Ein ähnliches Schicksal erlitt 1982 Frau Hildegard Hamm-Brücher, Staatsministerin im Auswärtigen Amt, bei ihren Restitutionsbemühungen. Obwohl die Öffentlichkeit und insbesondere die Presse sich sehr angelegentlich und mit positivem Verständnis für diese Debatte zugunsten der Kolonialvölker einsetzte, taten die Museumsleute alles, um diese Diskussion abzuwürgen. Leider gelang ihnen das.

Deutlich wird aber auch die Kehrseite einer allfälligen Durchführung der Restitution. An wen zurückgeben? Die Staaten sind ja dank der imperialistischen Grenzziehungen nicht mehr in Stammesgebiete aufgeteilt, sondern bilden meist größere staatliche Identitäten. Wer kommt in solchen Fällen als Empfänger in Frage? Es könnte sein, dass die ursprünglich beraubten Stämme zugunsten der neuen Staatsgebilde leer ausgehen.

Seit dem Vorstoß des französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron in Ouagadougou, die geraubten Artefakte an Afrika und andere Kolonialvölker zurück zu geben, hat die Restitutionsfrage (wieder einmal) Fahrt aufgenommen. Angesichts der immer noch starken Widerstände seitens der Kultur-und Museumshierarchie in den ehemaligen Kolonialstaaten ist eine Lösung nicht zu erwarten. Mit kleinen gönnerhaften Gesten der Völkerverständigung sind die Wunden nicht zu heilen.

Savoys Untertitel: „Geschichte einer postkolonialen Niederlage“ ist ein Fazit. Wir werden noch lange warten müssen, bis sich Räuber und Beraubte einigen können. Es ist ein Bericht, der über den mentalen, intellektuellen und emotionalen Zustand unserer Kulturpolitik ein vernichtendes Urteil spricht. Lesen sie ihn! Sie werden feststellen, dass sich das Gespenst der imperialistischen und rassistischen Einstellung gegenüber den beraubten Kolonialvölkern nicht geändert hat. Ob die am 30. April dieses Jahres von Kulturministerin Grütters endlich verkündete „finale Rückgabe“ der Benin-Bronzen Wirklichkeit wird, bleibt von diesem Hintergrund abzuwarten. Savoys Epilog jedenfalls nimmt noch einmal die moralische Dekadenz und die Defizite unseres Kulturbetriebs in den Blick und formuliert den tapferen Wunsch nach Durchhalten in einem langwierigen historischen Prozess. „Difficile est satiram non scribere“ (Juvenal, Rom, gest. 55 n. Chr.)

Notker Gloker, Heiligenberg