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Athos der Förster

Autor
Stefanopoulou, Maria

Athos der Förster

Untertitel
Roman. Aus dem Griechischen von Michaela Prinzinger
Beschreibung

Dreh- und Angelpunkt des Buches ist ein Massaker, das deutsche Soldaten 1943 an den männlichen Bewohnern des Dorfes Kalavryta auf dem Peleponnes als „Sühneaktion“ für die Ermordung deutscher Gefangener durch Partisanen verüben. Unter ihnen war Athos, der Gemeindeförster, der die Erschießungen überlebte. Im Zentrum des Romans stehen – auch wenn das schreckliche Ereignis der Kern des Buches bleibt – vier Frauen aus Athos’ Familie und ihr Umgang mit dem Trauma und den Erinnerungen über vier Generationen hinweg. Athos der Förster fesselt durch die Vielfalt seiner Themen und – mehr noch – die Schönheit der Sprache und die Tiefe der Gedanken darin.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Elfenbein Verlag, 2019
Seiten
248
Format
Gebunden
ISBN/EAN
978-3-96160-003-8
Preis
22,00 EUR
Status
lieferbar

Zur Autorin / Zum Autor:

Maria Stefanopoulou (geb. 1958) lebt in Athen. Sie studierte klassische und moderne Literatur in Rom und zog dann nach Paris, wo sie begann, in ihrer Muttersprache zu schreiben. Sie hat bereits drei Erzählbände sowie ein Theaterstück und mehrere Essays zu Literatur und Geschichte veröffentlicht. »Athos der Förster« (2014 im Original erschienen) ist ihr erster Roman, für den sie den Petros-Charis-Preis der Athener Akademie erhielt.

Zum Buch:

Dreh- und Angelpunkt des Buches ist ein Massaker, das deutsche Soldaten 1943 in dem kleinen Bergdorf Kalavryta als „Sühneaktion“ für die Ermordung deutscher Gefangener durch Partisanen verübten. Sie trennten die Männer von den Frauen und Kindern und führten sie auf ein Feld vor dem Ort, um sie dort zu erschießen. Unter ihnen ist Athos, der Förster der Gemeinde. Sein zwölfjähriger Sohn Gianni riss sich im letzten Moment von der Mutter los, lief zu ihm und wurde erschossen. Athos überlebt mit wenigen anderen Männern. Verwirrt und sprachlos zieht er, der immer schon die Einsamkeit und die Bäume liebte, der mehr in seiner Schutzhütte als mit seiner Familie lebte, sich ganz in den Wald zurück. Erst nach langer Zeit ist ihm ein Kontakt mit Menschen wieder möglich. Zu seiner Familie kehrt er nie wieder zurück. Er sieht es als seine Aufgabe an, die Toten aus dem Krieg und dem sich direkt danach anschließenden Bürgerkrieg zu begraben – gleich, auf welcher Seite sie gekämpft haben.

Im Zentrum des Romans stehen – auch wenn das schreckliche Ereignis der Kern des Buches bleibt – vier Frauen und ihr Umgang mit der Erinnerung über vier Generationen hinweg.

Da ist Marianthi, Athos Frau. Sie ist nach dem Massaker und Athos‘ völligem Rückzug von der Familie in einer Haltung aus Schuldzuweisung und Ablehnung erstarrt, die sich abwechselnd gegen die Deutschen und die kommunistischen Partisanen richtet. Margareta, Athos’ und Marianthis Tochter, war zur Zeit des Massakers elf Jahre alt. Sie will das Schreckliche vergessen und ein „normales“ Leben in Athen führen – obwohl es ihr nicht wirklich gelingt. Auch ihre Tochter Lefki wird in einer männerlosen Familie aufwachsen, weil ihr Vater früh gestorben ist und sie lange bei Marianthi, ihrer Großmutter, lebt. Lefki, die in Boston zur Anästhesistin ausgebildet wurde, ist besessen von der Vergangenheit und will alles über die damaligen Geschehnisse und über Athos wissen. Sie kehrt nach Kalavryta zurück und geht dort völlig in ihrer Arbeit als Schmerztherapeutin auf. Ihre Tochter Iokaste, die der Vater nie anerkannt hat, zieht sie alleine auf. Iokaste wird die erste der Frauen sein, die aus dem Schatten der Vergangenheit treten kann und nicht mehr ausschließlich davon bestimmt wird. Sie beginnt, an der Wahrheit dieser Familiengeschichte zu zweifeln. Bei einem Besuch in Athos‘ alter Schutzhütte findet sie Texte ihrer Mutter, aus denen sich die ersten drei Abschnitte des Romans zusammensetzen. Der vierte Abschnitt besteht aus Iokastes Aufzeichnungen

Athos der Förster ist ein Buch, das sich traut, die „großen Fragen“ zu stellen: Was ist menschliches Handeln, was ist Leben? Was ist Krieg, was Rache, was Versöhnung, was Liebe? Und vor allem: wie geht Gedenken, ohne dass der Mensch in einer Opferposition erstarrt, die ihn wiederum unempfindlich für das Leid anderer macht? Der Text hat eine archaische Wucht und ein Pathos, das man in der Gegenwartsliteratur kaum noch gewohnt ist, wird aber an keiner Stelle kitschig. Er setzt sich aus vielen Stimmen zusammen, ist kunstvoll konstruiert, ohne verkünstelt zu sein. Die Sprache ist ruhig, bilderreich, aber auch klar und nüchtern. Das Buch treibt keine Handlung voran, hat keinen Spannungsbogen und fesselt doch durch sein „Geheimnis“, die Vielfalt seiner Themen und – mehr noch – die Schönheit des Ausdrucks und die Tiefe der Gedanken darin.

Ruth Roebke, Bochum